Auserwählte Völker, Städte und Menschen oder über Moskau und die Moskauer Der Freund hieß Valerij, war ungefähr zehn Jahre älter als der Vater, lebte in Moskau und arbeitete in einem zentralen Forschungsinstitut auf dem gleichen Fachgebiet. Aus diesem Grunde entschloss sich der Vater, der noch an der Aspirantur war und an seiner Doktorarbeit ackerte, zu ihm nach Moskau zu fahren. Valerij war damals noch kein echter Freund, nur sein Kollege eben. Der Vater wollte mit ihm über die Doktorarbeit diskutieren. Eigene Doktorarbeit noch vor der Promotion nach Moskau präsentieren zu fahren, gehörte es zu den allgemein geltenden Spielregeln - ohne Moskau ging ja gar nichts. Die Moskauer waren dadurch verwöhnt und haben sich daran gewöhnt. Dadurch entwickelte sich auch bei ihnen seit historischer Zeit so eine Überheblichkeit, welche sich bei den alten Römern zu ihrer Zeit den anderen, von ihnen als Barbaren bezeichneten Völkern gegenüber in ihrem unendlichen Reich auch entwickelt hatte und durch welche schließlich das Römische Reich zugrunde gegangen war. In etlichen späteren, poströmischen Reichen pflegten dann dieselbe Überheblichkeit die germanischen Barbaren selbst den anderen Barbarenarten außerhalb und sogar innerhalb ihrer Reiche gegenüber. Diese trotz der dahinter steckenden Eitelkeit törichte Eigenschaft ist aber selbstverständlich für alle auserwählten oder sich zu auserwählten erklärten Völker, Religionsgemeinschaften, kleineren Menschengruppen oder sogar einzelnen Personen. Aus Moskau kam das Geld an die anderen in der Peripherie, durch die Moskauer Forschungsinstitute und ihre Mitarbeiter - meistens in großen, aber auch in kleineren führenden Positionen - verteilt. Die Forschungsaufträge wurden durch Verträge an die Peripherieinstitute weitergeleitet und von Moskauer Instituten mit staatlichen Geldern bezahlt. Die in Berichten verfassten Forschungsergebnisse gingen nach Moskau zurück. Dort wurden diese von einem oder von mehreren Auftragsgebern zu ihren Doktorarbeiten verfasst. Dafür durfte man mit einigen guten Referenzen aus Moskau für eigene Peripheriedoktorarbeiten rechnen. Diese Referenzen kamen bei der Höchsten Attestierungskommission - ebenfalls in Moskau - sehr gut an und begünstigten das Genehmigen des erlangten akademischen Grades nach der Promotion zu Hause sowie das Erteilen des entsprechenden Diploms durch diese zentrale Kommission. Valerij war nach Moskau aus einem sibirischen Dorf aus den einfachsten Verhältnissen gekommen, von seiner verwitweten Mutter erzogen - sein Vater war im Krieg auf der Sowjetseite gefallen. Er studierte dort, heiratete eine Moskauerin, hatte mit ihr zwei Töchter, arbeitete und promovierte mit der Zeit, wie es sich also gehört. Seine Frau als eine echte, eingeborene Moskauerin pflegte immer zu sagen: - Wir hätten ein noch besseres und noch mehr wohlhabendes Leben in Moskau, wenn es nicht diese Kolchosnicken aus den umliegenden Dörfern und Gebieten mit ihren Hamstereinkäufen gäbe. Sie kommen täglich in Tausenden nach Moskau und plündern unsere Fleischtheken! Diese allen bekannten "Wurstzüge" aus Moskau dienten einem kleinen Ausgleich im sowjetischen Verteilungssystem. Dieses war an der Stelle besonders ungerecht und schien eine einigermaßen gerechtere Verteilung diesen "Wurstzügen" zu überlassen. Das ganze Imperium wurde von der Regierung in Moskau ausgeplündert und musste an Moskau die Zeche zahlen. Alle Produkte wurden von Moskau aus verteilt, und das Meiste blieb dabei in Moskau, Kiew, Charkow und Leningrad, die zu kommunistischen Städten erklärt worden waren. Sie sollten den Ausländern den sowjetischen "Wohlstand" präsentieren, während die anderen - von ausländischen Gästen abgeschirmt - unter sich aushungern durften. Valerijs Gemahlin war in ihrer Moskauer Überheblichkeit offensichtlich überzeugt, dass das ihr von Kolchosnicken geraubte Fleisch auf Bäumen in Moskauer Hinterhöfen wächst und nur die Moskauer dementsprechend das Recht darauf behalten dieses zu fressen. In zwanzig Jahren unter einem Dach mit dieser Frau blieb auch Valerij diese Überheblichkeit nicht gänzlich erspart. In einem war er jedoch anders. Er forschte selbst für seine Veröffentlichungen und für seine Doktorarbeit. Er war übrigens auch in keiner - weder größeren noch kleineren - führenden Position. Er forschte viel und erfolgreich: Seine Veröffentlichungen waren bekannt, und seine Meinung wurde unter Kollegen geschätzt. Also entschied sich der Vater damals, zu ihm zu fahren, ihm die Doktorarbeit zu präsentieren, über die in der Arbeit noch nicht geklärten Probleme zu diskutieren, zu deren Lösung der Vater einige faszinierenden Ideen zu haben meinte. Diese Ideen sollten unbedingt Valerijs Interesse erwecken und ihn zu der Zusammenarbeit mit dem Vater motivieren. Umso mehr, dass einige Problemlösungen auf die bei Valerij in Moskau vorhandene experimentelle Ausrüstung angewiesen waren. Dies war wieder mal typisch eine von Vaters naiven Vorstellungen, bei denen er nichts von der fremden, die Realität abbildenden Erfahrung wissen wollte. In dieser erfahrungsbelegten Realität ging es schon in Ordnung die Arbeit in Moskau zu präsentieren. Zu diskutieren war es bereits weniger in Ordnung, aber an eigenen Problemen und Ideen mit den Moskauern zusammenzuarbeiten galt es so gut wie ganz undenkbar. Der Vater meinte aber eigenwillig und eigenlogisch, dass die Wissenschaft von Natur aus demokratisch sei und alle ihre Diener gleich seien. Dass es gerade hier keine "meinen" oder "deinen" Probleme gäbe und jede Diskussion unter den Gleichen über die in einer Zusammenarbeit zu lösenden Probleme nur der Objektivität von wissenschaftlichen Ergebnissen und somit dem Fortschritt der Wissenschaft und nicht einem einzelnen Wissenschaftler diene. Vorausgesetzt natürlich, dass eine zugrundegelegte Idee alle Beteiligten fasziniert und zur Zusammenarbeit motiviert. So war für den Vater nur das wahr, was logisch war. Und dies in einem "Irrenhaus", dessen Funktionäre so eine Furcht vor jeglicher Logik und Objektivität wie der Teufel vor dem Weihrauch hatten. Der Vater fuhr hin. Es war Spätfrühling. In Moskau blühte alles. Fast jeden Tag, einen Monat lang, stürmte und belagerte der Vater diese Überheblichkeitsfestung, indem er sich immer wieder meldete, Termine vereinbarte, ins Institut ging und dort Tage verbrachte, ohne ein kleinstes Versprechen oder eine Zusage zu der gewünschten Zusammenarbeit zu erlangen. Eines mittlerweile heißen Sommerabends saßen die beiden im Institut: der Vater mit fester Entschlossenheit hier bis zum bitteren Ende zu sitzen und Valerij mit dem verzweifelten Gesicht eines Verurteilten, der gerade begriffen hat, dass es kein Entkommen gibt. Alle anderen Mitarbeiter waren schon längst fort. - Magst du Bier? - fragte, plötzlich duzend, Valerij - Wir könnten in einen Biergarten gehen und dort alles besprechen. Ich habe Durst! - fast stöhnte er zum Schluss. "Mein Gott!" - dachte der Vater - "Endlich habe ich es! Auf diesem vertrauten Boden, wo sich zwei Männer beim Biertrinken unterhalten, können wir nur gleichstehen und alle albernen Irrtümer vergessen." - und antwortete: - Natürlich mag ich Bier und ich habe verdammten Durst auch. Nur kenne ich keinen Biergarten in der Nähe. Wenn Sie die Führung übernehmen, können wir gleich losgehen. - er fand es angebracht zunächst subordinär beim "Sie" zu bleiben. Gesagt - getan! In fünf Minuten waren sie draußen und marschierten durch Moskauer alte, enge Gassen, ihr ab nun gemeinsames und sie so überraschend vereinigtes Ziel verfolgend. Die Masken fielen! Es gingen miteinander zwei normale Männer mit ihren unterschiedlichen und dadurch einander so interessanten Lebenserfahrungen, über welche sie gleich zu sprechen begannen. Es gab keine Kollegen mehr - einen jüngeren und einen älteren, welche zueinander in einem subordinären Abstand in ihren Titeln und Positionen standen und einander mit ihrem wissenschaftlichen Gequatsche quälten, dem sie bereits im Alltag allein ihres Berufes wegen überdrüssig waren. Die falschen Lanzen, mit denen sie einander geradezu bekämpften, wurden abgelegt. Die Bierhenkel und Männergespräche wurden zu der Erfolgswaffe, welche sie zum gegenseitigen Verständnis und schließlich zur Freundschaft führte. Um ein paar Ecken fanden sie ihre "Fata Morgana" [1] - den angesagten und, wie es schien, für Valerij gut bekannten Biergarten. Sie tranken kaltes, erfrischendes Bier in der warmen Luft des sommerlichen Abends in der allmählich untergehenden Sonne und kauten dazu gesalzten, luftgetrockneten Fisch, den man vorher mühsam und dreckig ausnehmen und schälen musste. Schon längst wurden persönliche Fragen vom Typ "Wer ist was?" geklärt, und das Gespräch floss zwanglos wie das Bier über dies und jenes, was einem gerade einfiel. Valerij trug zum Thema "Fisch" vor, dass er ab und zu mit seinen Kumpels nach Astrachan fährt und dort unten an der Wolga fischt: - Den da kannst du vergessen. - meinte er zu ihrem Fisch, welchen sie unterwegs gekauft hatten und jetzt zum Bier vernaschten - Was wir dort fangen und essen, das ist Fisch! - Ich bin zwar kein Fischer, - meinte der Vater - aber was ich in Nordsibirien für Fisch gegessen habe, von Einheimischen gefangen und vorbereitet, solltest du mal probieren. Inzwischen fielen die letzten Schranken, und sie duzten sich selig gegenseitig. - Was hattest du im Norden zu suchen? - interessierte es plötzlich Valerij. - Ach, nur so. Ich fahre jeden Sommer noch seit meiner Studentenzeit mit meiner Brigade hin, um Geld zu verdienen, das ich im Winter brauche, um mich mit der Wissenschaft beschäftigen zu können. Meine wissenschaftliche Beschäftigung betrachte ich demzufolge als mein Hobby. Du weißt ja, dass wir von unseren Gehältern in unserer Branche kaum satt leben können. - Allerdings! - gab Valerij gerne zu. - Wir bauen dort in den bis zu zwei Monaten langen Ferien bei einer manchmal sechszehnstündigen Tagesarbeit ohne Wochenenden alles, was es zu bauen gibt, kassieren das Geld und hauen dann wieder ab nach Hause. - Ich hätte es gerne mal mitgemacht! - meinte Valerij überraschend. "Hast du eine Ahnung, wovon du redest..." - dachte der Vater skeptisch, Valerijs kleine und magere Gestalt kritisch betrachtend. Diese sogenannten Kalyme im Norden waren für den Vater eine heilige, nicht jedermanns Sache. Dort war seinetwegen das einzig echte Leben. Dort brauchte man nicht nur die Muskelkraft, sondern - und sogar vor allem - das höchste Ausdauer- und Durchhaltevermögen. Dort war man Bedingungen ausgesetzt, die sich kein normaler Mensch in der Stadt - und schon gar nicht so ein Wissenschaftler aus Moskau - vorstellen könnte. - Soll doch romantisch sein. - verbohrte sich inzwischen Valerij weiter in seine Idee. - Na ja, Romantik ist eigentlich nicht unser Ziel dabei. Aber wenn du meinst, soll es so sein. In der alles verbrennenden Sonne des kurzen Nordhochsommers tags und manchmal nachts über - in den weißen Nächten vergisst man die Zeit - von allen möglichen Mücken-, Fliegen- und Moskitoarten angefressen, die schwerste Arbeit ohne jegliche großartigen Mechanismen und ohne jegliche Arbeitssicherheit aus- und durchzuhalten, ist es schon irgendwie romantisch. - Mensch, auch noch weiße Nächte! Und dies alles unter Kumpels... - ließ sich Valerij durch die von dem Vater ausgemalten Arbeitsbrutalitäten und seine Ironie nicht beeinflussen. - Ja, unter Kumpels stimmt schon. Jeder von uns ist in der Brigade sowie in seiner Arbeit als auch im Ganzen auf einander angewiesen. Alle ziehen an einem Strang! Wenn einer faulenzt oder aufgibt, müssen das Seine die anderen leisten. Das ganze Unternehmen mit dem abschließenden Erfolg darf gar nicht in Frage gestellt werden, weil das richtige und volle Geld mit allen Prämien nur bei der im Akkordvertrag vorgesehenen Schlüsselfertigstellung eines Bauobjektes gewährleistet ist. - Das ist ja wie bei den Bergsteigern, die sich als Vorbild der Zuverlässigkeit und Männerfreundschaft in ihren Liedern hochleben und dadurch beneiden lassen. - War noch nie in Bergen. - merkte dazu der Vater trocken an - Hatte auch nie Geld dafür und finde es auch blöd, nach Schwierigkeiten und schweren Belastungen zu suchen, die man auch noch selbst bezahlen muss. Von Insidern allerdings gehört, dass manche Seile von diesen Kumpels schon abgeschnitten wurden, wenn es darauf ankam. Unter meinen Männern im Norden passierte so etwas noch nie, obwohl sie sich nie haben hochleben lassen. Dort werden Männer nach ihrer Aufrichtigkeit und Kameradschaft während der kürzesten Zeit ohne jeden psychoanalytischen Aufwand geprüft. Dort gibt es ja auch keinerlei Möglichkeit etwas zu verbergen. Nicht im gemeinsamen Leben in kurzen Arbeitspausen, welches sich nur aufs Essen und Schlafen beschränkt, und schon gar nicht während dieser erschöpfenden Arbeit Schulter an Schulter, wo alle an einem Seil hängen. - Ich sehe schon: Du magst nicht besonders die Bergsteigerromantik. - Ich mag es nicht, wenn ernsthafte und gefährliche Dinge künstlich aufgesucht und zur Spielerei gemacht werden. Hatte es nie nötig. - Ich auch nicht. Aber ich kann bei denen verstehen, dass sie eher nach einer Art von Selbstbefreiung und Selbstbestätigung suchen. - Kann sein. Nur für mich wäre es keine Selbstbestätigung mich als der Größte zu fühlen, indem ich wie eine Ameise ein paar Tausendmeter über die Köpfe von anderen Menschen hochklettere. Ich fühle mich groß und bestätigt, indem ich unter die Menschen gehe, sich mit ihnen messe und als Erster daraus komme. - Und was ist mit der Freiheitssuche in dieser erstickend stinkenden Gesellschaft? - Sie finde ich in vollem Maße im Norden! Dort gibt es eine totale Handlungsfreiheit, die zu meiner, in der Gesellschaft sonst nicht gewährten und bei vielen dadurch fehlenden, persönlichen Freiheit erheblich beiträgt. - Ich kann dir nicht folgen: Im Süden, im Norden soll doch egal sein - diese Gesellschaft ist ja überall! - Dort ist es anders. Es läuft dort nicht nach den offiziell herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. So eine Brigade funktioniert wie ein auf ein paar Monate befristetes, selbstständiges Unternehmen. Der Brigadier als Geschäftsf?hrer - diese Rolle bleibt irgendwie Jahr für Jahr an mir hängen - fährt noch im Frühling umher, sucht nach geeignete Bauobjekte und nach Auftraggebern in der Gestalt von Leitern der landwirtschaftlichen Betriebe, welche diese Objekte dringend brauchen und die dafür benötigten Gelder bereithalten. Dadurch ist schon mal das gemeinsame wirtschaftliche Interesse da, das die Verhandlungspartner in ihren Verhältnissen von Anfang an - im Gegensatz zu den üblichen sowjetischen Subordinationen - auf die gleiche Augenhöhe bringen und von jeder leeren Propaganda befreien. - Wieso? Diese Leiter sind doch dieselben Parteifunktionäre wie überall. - Nicht ganz. Sie sind vor allem wirtschaftliche Leiter, die mit den unmittelbaren Realitäten direkt vor Ort konfrontiert werden. Um zu diesen Leitern zu werden, mussten sie zwar in die Partei eintreten. Sie sind damit aber die kleinsten, die von den größeren und von ihrer Realität nichts wissen wollenden Parteifunktionären erpresst werden. Dann kommen wir für sie wie eine Rettung. Diese Leiter wissen ganz genau, dass sie das gesehnte Objekt in zwei Monaten - wenn auch für ziemlich großes Geld - fertiggestellt kriegen. Dasselbe Objekt mit eigenen Kräften zu bauen, vorausgesetzt noch, dass sie überhaupt vorhanden sind, wäre es für sie unmöglich oder hätte es so lange gedauert, dass es im Endeffekt - besonders wenn man all diese regionalen Nordaufschläge mitberechnet - noch mehr Geld gekostet hätte. - So sind ihre Realitäten. - Verstanden! Trinken wir auf dich und auf deine Männer, auf die Herren des Nordens! - lachte Valerij, der Vaters begeisterten Ausführungen aufmerksam zugehört hatte. Sie tranken lachend darauf, aber der Vater erklärte dann ernsthaft dazu: - Es wollen leider mehrere "die Herren des Nordens" sein, und es gibt dort eine große Konkurrenz. Viele Brigaden sind im Frühling mit ihren Angeboten unterwegs und nicht nur die einheimischen, sondern auch die aus der ganzen Sowjetunion. Vor allem aber aus Mittelasien und Kaukasus, die im Volksmund als "Saatkrähen" bezeichnet werden. Da helfen nur eigene eiserne, wenn auch ungeschriebene Regeln in diesem harten Geschäft. - Diese "Saatkrähen" sehen wir auf den Moskauer Obst- und Gemüsemärkten auch. Sie sind nicht besonders beliebt und nicht nur für ihre kosmischen Preise. - Dort auch nicht. Und es hat mit ihrer Farbe oder Herkunft nichts zu tun - an der Stelle sind Sibirier sehr tolerant und großzügig wie, übrigens, an vielen anderen Stellen auch. Unter diesen "Saatkrähen" sind nur selten aufrichtige Brigaden zu finden, die ihr Geld so wie wir selbst erarbeiten. Gegen sie ist eigentlich nichts einzuwenden, und wir pflegen mit denen, wenn wir mit ihnen in einem Dorf arbeiten, neutral freundliche Kollegenverhältnisse. Meine Männer und ich hatten uns sogar schon mal auf der Seite von diesen "Kollegen" bei Auseinandersetzungen mit Einwohnern geschlagen, was auch immer wieder passieren kann. - Das klingt schon nach dem Wilden Westen! Oder nach dem wilden Osten? - Nach dem Wilden Norden, wenn schon, und es ist vielleicht noch schlimmer. Die Auseinandersetzungen mit den Einheimischen gilt es eigentlich zu vermeiden, weil sie an sich gefährlich sind und ein gefährliches Ausmaß annehmen können, sodass eine Brigade dann das Kalym abrupt abbrechen und die Siedlung schleunigst verlassen muss. Und diese Scheiße ist schon gar nicht im Sinne unseres Geschäfts. - Kann ich mir vorstellen. Warum lässt es sich dann nicht immer vermeiden? - Eine gute Frage! Du kennst ja die Geschichte von Sibirien und Sibiriern? - Ich war zwar in Tschetschenien geboren, bin aber nach dem Krieg in Sibirien, im Altaigebiet, aufgewachsen. - Dann weißt du Bescheid und kannst es dir vorstellen, in welcher Gesellschaft wir dort verkehren. Valerij wusste Bescheid und konnte es sich vorstellen.
[1]Traumbild - zum Beispiel von einer Oase mit einer Wasserquelle, welche durstigen Wanderern in der Wüste durch Luftspiegelung vorgeteuscht wird
|