Viktor Eduard Prieb - Literatur
- Publizistik
Aus meinem im November 2021 verlegten Buch
(hier als PDF-Datei):
"Die Schließbarkeit des Kreises oder die zweihundertjährige Reise“. Teil 1: Der Zug fährt ab, Roman, 348 S.
ISBN (978-620-0-52043-2



"Das deutsche Lotto"
oder darüber, was es einem Deutschen und was es einem anderen kostet, ein Deutscher zu sein



Also, diese Nabelschnur zu seiner Familiengeschichte, welche eine Geschichte von Deutschen war, wurde irgendwo auf dem Weg abgetrennt. Nein, zu der Familiengeschichte ganz gewiss nicht und zu der Geschichte von deutschen Kolonisten in Südrussland auch nicht. Er war stolz, einer von ihnen zu sein.

Er war auch stolz, Deutscher zu sein, nachdem er so unmittelbar und brutal diesen durch den Krieg über allen Deutschen liegenden Fluch wie sein eigenes Kreuz zu tragen hatte und es durchzustehen schaffte. Es blieb ihm auch sonst nicht viel übrig, als diesen Stolz alledem zum Trotz zu entwickeln und zusammen mit seinen eigenen deutschen Qualitäten alledem entgegen zu setzen.

Nur die Nabelschnur zu Deutschland, die auch zusätzlich hätte diesen Stolz nähren können, wurde abgeschnitten. Die Nabelschnur, welche bei seinen Vorfahren einschließlich seines Vaters noch da gewesen war. Sein Vater war ja in Deutschland gewesen, hatte es gekannt und sogar dafür... - für was? - gekämpft.

Die Verbindung zu Deutschland schien irgendwo in dem sibirischen, heimatlosen Niemandsland zwischen dem Kleinen und dem Vater verlorengegangen zu sein. Sein Vater hatte diese Bindung einfach nicht weiter gegeben.

Vielleicht weil er dieses neue Deutschland, das er erlebt hatte, zu gut kannte? Vielleicht standen ihm sein ganzes restliches Leben lang die Bilder vom Mai 1945 so unüberwindbar vor Augen? Die Bilder, die er erlebt und vom Dritten Deutschen Reich ins Kartoffelreich Sibirien mitgenommen hatte.

Die Bilder von dem untergegangenen Deutschland, welches jedem dieses Inferno erlebten und diese Bilder gesehenen Deutschen damals schien nie wieder auferstehen zu können. So dass der Vater, nach seinem misslungenen Heimkehrversuch, durch diese Bilder wie auch alle Deutschen erdrückt, ein fettes Kreuz für immer und ewig hatte auf "die deutsche Karte" setzen müssen. Vielleicht war er nicht mehr so sehr stolz, Deutscher zu sein?

Auf die Karte, die heutzutage - der Meinung eines der solch verblödeten Professoren[1] nach - zu einem Lottoschein für die Deutschen aus der UdSSR geworden sei, mit dem der Besitzer dieses dem Vater und den Hunderttausenden anderen deutschen Kolonisten Unheil, Leid und Tod gebrachten Loses - Deutsche zu sein - etwas zu gewinnen bekommen solle, nämlich sein Mutterland Deutschland!

So etwas Perverses könnte bestimmt nur einem der heute auf einmal unglücklich und neidisch gewordenen Nicht-Besitzer dieses Lottoscheines einfallen, welche hier unter den Deutschen im neugeborenen und vereinten Deutschland leben.

Dem Nicht-Besitzer, welcher zwar nichts dagegen hat, in guten Zeiten das Wohl Deutschlands zu genießen, aber seinen Einbürgerungsantrag - der Antrag aufs Deutschwerden - in die Gosse abspülen lässt [2].

Wahrscheinlich deswegen, weil solche "Formalitäten" sowie Deutsche selbst - wie übrigens auch alle Anderen in seinem Bestseller dargestellten Nationalitäten von Russen und Weißrussen bis hin zu Vietnamesen - ihm zu blöd und zu primitiv erscheinen mögen.

Oder vielleicht doch deswegen, was der nächstliegende Grund für die Gosse zu sein erscheint, weil diese Einbürgerung diesem jüdischen Entertainer gleich die Pflicht mit sich gebracht hätte, den im zwanzigsten Jahrhundert und für ewige Zeiten auf alle Deutschen auferlegten Fluch heute als ein eingebürgerter Deutscher mit ihnen zu teilen und mitzutragen sowie später - in den immer möglichen schlechten Zeiten - hätte wieder mal zu verhängnisvoll werden können.



[1] Prof. Klaus Hilger "Russlanddeutsche - aus jeder Diskussion ausgeklammert", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.11.2000 (auch auf meiner Webseite http://www.literatur-viktor-prieb.de/Hilger.htm und http://www.literatur-viktor-prieb.de/Statistik2000.html zu finden)

[2] Der deutsche Bestseller "Russen Disko" vom sowjetischen Juden Wladimir Kaminer, Goldman Verlag München 2000, S. 189: "Warum ich immer noch keinen Antrag auf Einbürgerung gestellt habe"


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